European Capitals of CultureΠοιειν Και Πραττειν - create and do

Interview with Ulrich Fuchs

Kulturhauptstadt

Kampf um Marseille

Kolonialismuserbe, Rechtsradikalismus, Nazivergangenheit, aber auch neue Museen über den Mittelmeerraum – Ist Marseille eine "Europäische Kulturhauptstadt" wider Willen?

Von Werner Bloch

http://www.welt.de/kultur/kunst-und-architektur/article112432100/Kampf-um-Marseille.html

6.1.2013

Cultural Capital City

Fight for Marseille

Colonial heritage, Right wing radicalism, Nazi past, but equally new museums in the Mediterranean space – Is Marseille a "European Cultural Capital City" against its own will?

by Werner Bloch

http://www.welt.de/kultur/kunst-und-architektur/article112432100/Kampf-um-Marseille.html

6.1.2013

Kaum eine Metropole wurde im Hinblick auf ihren Titel als Europäische Kulturhauptstadt so radikal umgebaut wie Marseille, das sich dieses Jahr die Auszeichnung mit dem slowenischen Kosice teilt. Am 12. Januar finden dort die Eröffnungsfeierlichkeiten statt. Wir sprachen mit dem Deutschen Ulrich Fuchs, dem stellvertretenden Direktor von Marseille Provence 2013.

Hardly any other metropolis was transformed so radically due to the title of European Capital of Culture than Marseilles, which shares the designation for this year with the Slovenian city of Kosice. On 12 January take place the opening ceremonies. We spoke with the German Ulrich Fuchs, the Deputy Managing Director of Marseille Provence 2013.

Welt: Herr Fuchs, Sie sind Europameister: Kein Mensch hat sich so für das Projekt "Europäische Kulturhauptstadt" eingesetzt wie Sie. Sie waren fünf Jahre für die Kulturhauptstadt Linz tätig, haben die Bremer Bewerbung vorbereitet, sind seit zweieinhalb Jahren in Marseille... Welche Station kommt als nächstes?

Ulrich Fuchs: Ja, ich bin ein Fossil der Kulturhauptstadtbewegung. Aber wenn es nach Marseille noch einmal irgendwo weitergehen soll: da müsste schon der Vatikan bei mir anrufen. Da würden mir ein paar schöne Projekte einfallen. (Lacht)

Welt: Mr. Fuchs, you are a European master: no one has devoted himself as much as you have to the project "European Cultural Capital”. You were for five years active in the Cultural Capital Linz, before that you prepared the bid of Bremen, and now you are two and half years in Marseilles... What shall be your next station?

Ulrich Fuchs: Indeed, I am a fossil of the Cultural Capital movement. But if it is to continue after Marseilles still somewhere else, then the Vatican has to ring me up. There would come to me some lovely project ideas. (laughs)

Welt: Marseille genießt in Frankreich keinen besonders guten Ruf. Es gab Querelen, Rücktritte, Streit bei der Vorbereitung von Marseille 2013...

Ulrich Fuchs: Zunächst einmal habe ich mich bei der Ankunft sehr über die Fähigkeit dieser Stadt gefreut, Fremde aufzunehmen. Ich habe mich in Marseille viel willkommener gefühlt als etwa in Linz. Und was die vielen negativen Klischees von Marseille angeht, die Vorurteile vieler Franzosen – da merkt man eben, dass die Realität sich schneller verändert als die Mentalität. So etwas kommt übrigens ziemlich oft beim Projekt Europäische Kulturhauptstadt vor.

Welt: Marseilles does not have a specially good reputation in France. There were controversies, resignations, disputes while preparing for Marseilles 2013...

Ulrich Fuchs: First of all, I was very pleased after my arrival to experience the capacity of this city to receive strangers. I feel myself much more welcome here than what was the case, for example, in Linz. And with regards to the many negative clichés about Marseilles, the prejudices of many French people – there one realizes that the reality changes much faster than mentalities. By the way, something like that happens quite often in the case of the project European Capital of Culture.

Welt: Marseille gilt manchen als Geheimtipp; andere haben aber schlichtweg Angst...

Ulrich Fuchs: Das kann verstehen. Es gibt genügend schlechte Nachrichten, die auch in den letzten Monaten aus Marseille nach außen gedrungen sind. Es gab – wegen der Bandenkriege – auch eine Reihe von Toten im letzten Jahr. Die Stadt hat enorme ökonomische Probleme, auch wenn ich glaube, dass die tiefste Krise bereits überwunden ist. Marseille hat sich lange als Stadt des französischen Kolonialismus profiliert und davon wirtschaftlich stark profitiert. Diese lukrative Epoche war 1962 mit dem Ende des Algerienkriegs vorbei. Außerdem wurde Marseille, wie alle europäischen Häfen, von der weltweiten Krise der Hafenstädte betroffen. Einwohner wanderten ab, die Arbeitslosigkeit stieg, rund 20 Prozent der Menschen leben hier an der Armutsgrenze. Das führt natürlich zu Verwerfungen, auch zu einer Flucht in die kleinere und mittlere Kriminalität, manchmal sogar in die Schwerkriminalität. Gerade in den Vierteln mit hoher Jugendarbeitslosigkeit wird gern das schnelle Geld mit Drogenhandel verdient. Das manifestiert sich dann auch in Bandenkriegen, die wirklich ein brutales Ausmaß angenommen haben.

Welt: For some Marseilles is a secret jewel while for others they have simply fear...

Ulrich Fuchs: I can understand that. A lot of bad news went out of Marseilles in the last few months. There were – due to gang wars – as well a number of deaths during the past year. The city has tremendous economic problems, even if I believe that the deepest crisis has been put behind already. Marseilles positioned itself for a long time as city of French Colonialism and profited from that considerably. This lucrative period came to an end in 1962 when the war in Algiers terminated. Also Marseilles was hit like all European harbours by a world wide crisis of all harbour cities. Many inhabitants emigrated, unemployment rose, about 20% of the population lives here at the border to poverty. That leads naturally to overthrowing everything, also to an escape into small and medium criminality, sometimes even into heavy criminality. Especially in quarters with a high youth unemployment there fast money is made preferably by drug trafficking. It manifests itself as well in gang wars, which have taken on a truly brutal dimension.

Welt: Kann ich mich denn als Tourist in Marseille sicher fühlen?

Ulrich Fuchs: Wenn Sie hier nicht mit Drogen handeln, d. h., wenn Sie keine kaufen oder verkaufen wollen, dann leben Sie in Marseille genau so sicher wie in Frankfurt, Madrid oder in London. Etwas unsicherer als in Dinkelsbühl oder Itzehoe, aber das hängt mit der Größe der Stadt zusammen. Als Tourist hat man hier nichts zu befürchten. Im Übrigen: Marseille ist auch im Winter eine großartige Stadt. Vor allem gefällt mir das Licht. Es sind sehr viele helle Tage, 300 Sonnentage im Jahr. Und selbst jetzt, wo natürlich kühler ist, aber wenn die Sonne aufgegangen ist und Sie aufs Meer schauen, dann ist das ist eine wunderbare Landschaft. Die Reise lohnt sich immer.

Welt: Can I feel myself secure as tourist in Marseilles?

Ulrich Fuchs: If you do not trade in drugs, that is if you do not purchase any or try to sell any, then you live in Marseilles as safe as in Frankfurt, Madrid or London. Naturally things are more uncertain than in a tiny village like Dinkelsbühl or Itzehoe, but that is always connected with the size of a city. As tourist you have here nothing to fear. Also Marseilles is a tremendous city during the winter months. I like especially the light. The year has many sunny days, 300 in all. And even now, when it is naturally cooler, but when the sun has come up and you look upon the sea, then it is a wonderful landscape. A trip to here is always worthwhile.

Welt: Bleiben wir bei den Schwierigkeiten. Die Banlieues sind beeindruckend, der Ausländeranteil gewaltig, der Ton ziemlich schroff. In Paris rümpft man die Nase...

Ulrich Fuchs: Marseille hat kosmopolitische Wurzeln. An allen Ecken und Enden trifft man auf Spuren der Einwanderung – schon wenn einem die Nachbarin erzählt, ihre Eltern stammen aus Italien oder seien aus dem Maghreb immigriert. Die Einwanderung macht die Menschen authentisch, weil sie selbst am eigenen Leib erfahren haben, was es heißt, in einer Stadt anzukommen. Übrigens hat der Umstand, dass Marseille bis heute kein anständiges zeitgeschichtliches Stadtmuseum hat, auch damit zu tun, dass die meisten Leute hier gewissermaßen im Exil leben, also die Vergangenheit hinter sich gelassen haben und sich oft gar nicht mehr dafür interessieren, was früher mal war.

Welt: Lets stay with the difficulties. The Banlieues are impressive, the number of foreigners enormous, the tone rather rough. In Paris one ruffles the nose...

Ulrich Fuchs: Marseilles has cosmopolitan roots. At all corners and in all ends you come upon immigrants – already if your neighbour tells you her parents came from Italy or one has immigrated to here from Maghreb. The immigration makes the people authentic, because they have experienced on their own skin what it means to arrive in a city. By the way, the fact that Marseilles has till today no proper City museum, that is also connected to the fact that most of the people live permanently in a kind of exile, but also that they have left the past behind them and more often are not at all interested any more in what took place in the past.

Welt: Das klingt ein bisschen widersprüchlich für die älteste Stadt Frankreichs. Marseille ist ja 2600 Jahre alt, wurde der Legende nach durch die wunderbare Ankunft eines fremden Prinzen gegründet. Die Stadt hat aber vor allem mit ihrer jüngsten Vergangenheit Schwierigkeiten...

Ulrich Fuchs: Sie meinen den Algerienkrieg? Das, was sich zwischen Algerien und Frankreich abgespielt hat, ist nach wie vor ein Tabu in diesem Land. Es erinnert mich sehr daran, obwohl ich hier keine direkten Vergleiche ziehen will, wie der Nationalsozialismus in Österreich und Deutschland lange Zeit ein Tabuthema war. Wann immer man hier auf das französisch-algerischen Verhältnis, auf den Krieg und die Rückkehr der Pieds-Noirs stößt, also der aus Algerien vertriebenen französischen Siedlern, spürt man ganz schnell, dass das noch ein sehr, sehr heikles Thema ist. Es wird jetzt zunehmend von französischen Historikern aufgearbeitet und inzwischen werden auch Filme darüber gedreht. Doch bei jeder Filmpremiere kommt es zu Protesten von rechtsgerichteten ehemaligen Algerienfranzosen.

Welt: That sounds a bit contradictory for a city which is the oldest of France. Marseilles is after all 2600 years old, and according to legend was founded as if by a wonder when a foreign prince arrived. The city has above all difficulties with its more recent past...

Ulrich Fuchs: You mean the war in Algeria? That, what took place between Algeria and France, that is still a taboo in this country. Although I do not wish to draw any direct connection, it does remind me of how long National socialism was a taboo in Austria and Germany. Whenever one comes upon this French Algerian relation, upon this war and the return of the Pieds-Noirs, that is the French settlers who had been expelled out of Algeria, then you sense very quickly, that this is still a very precarious topic. Increasingly so French historians are taking on this subject, and in the meantime films are made about it. But at almost every film opening night, it does come to protest by the Far Right, mainly French orientated but who came originally from Algeria.

Welt: Auch mit Nazi-Deutschland hat Marseille eine problematische Vergangenheit...

Ulrich Fuchs: "Vergangenheitsbewältigung", ein sehr deutsches Wort, ist in Frankreich ein schwieriges Thema. Marseille war vor und im Zweiten Weltkrieg ein Fluchtpunkt europäischer Intellektueller. Der Roman "Transit" von Anna Seghers spielt hier, Lion Feuchtwanger war in Marseille. Das ist vor Ort relativ wenig bewusst und wird wenig aufgearbeitet. Wir haben daraus ein starkes Thema gemacht. Klar, dass mich als Deutschen das besonders interessiert.



Ulrich Fuchs: Die Gedenkstätte "Les Milles". Mit ihr haben wir eine enge Kooperation vereinbart. "Les Milles" ist ein ehemaliges Internierungslager, in dem unter anderen Max Ernst, Lion Feuchtwanger, Walter Benjamin saßen. Das war zunächst mal ein Lager unter französischer Verwaltung, also teilweise mit Vichy-Beamten besetzt, die mit den Nazis kooperiert haben. Ab 1942 wurde es zu einem echten Konzentrationslager, für den von den Nazis betriebenen Abtransport der jüdischen Bevölkerung Südfrankreichs, über Paris nach Auschwitz. Als im September 2012 nach dreißigjährigem Kampf um die Einweihung das Internierungslager als Gedenkstätte eröffnet worden ist, war der Premierminister zusammen mit sieben Mitgliedern seiner Regierung anwesend. Man sieht also, dass dieses Thema in Frankreich ganz hoch gehängt ist.

Welt: Thus with Nazi-Germany Marseilles has a problematic past...

Ulrich Fuchs: "Coming to terms with the past - Vergangenheitsbewältigung", a very German word, that is in France a difficult topic. Marseilles was before and during Second World War a refuge place for European intellectuals. The novel "Transit" by Anna Seghers takes place here, Lion Feuchtwanger was in Marseilles. For locals that is relatively unknown and is hardly dealt with. We have made out of it a strong subject. Naturally being German it is something which interests me very much.

Welt: After all there exists a former concentration camp between Marseilles and Aix-en-Provence...

Ulrich Fuchs: The memorial place of "Les Milles". With it we have developed close cooperation. "Les Milles" is a former concentration camp where among others were imprisoned Max Ernst, Lion Feuchtwanger, Walter Benjamin. At first it was a prison camp under French administration, that is run partially by Vichy administrators, who cooperated with the Nazis. From 1942 onwards it became a real concentration camp used to prepare for the transportation of the Jewish population in Southern France via Paris to Auschwitz. When in September 2012, that is after a thirty year struggle, the prison camp was finally inaugurated as memorial place, there were present the prime minister along with seven members of his government. That is an indication how serious one takes this subject here in France.

Welt: Ein Themenstrang von Marseille Provence 2013 heißt "Mediterrannée" oder "Le Partage du Midi", also die gemeinsame Vergangenheit des Mittelmeerraumes. Was geschieht da genau?

Ulrich Fuchs: Die historischen Beziehungen zwischen der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich und dem nordafrikanischen Kontinent sind ein wichtiges Thema, sie werden durch Debatten, Ausstellungen, Theater- und Musikaufführungen das ganze Jahr über präsent sein. Eine emblematische Figur, die in Südfrankreich und in Algerien für diesen Zeitraum steht, ist Albert Camus. Der hat im Jahr 2013 seinen hundertsten Geburtstag. Das Thema Camus ist auch bereits in der Vorbereitung der Kulturhauptstadt ein strittiges Thema gewesen. Eine große Ausstellung, die wir mit der Cité du Livre in Aix-en-Provence planen, hat zu heftigen Debatten geführt, mit Beteiligten wie Catherine Camus, die sozusagen als Tempelwächterin das Werk ihres Vaters verteidigt und die ja auch hier in Südfrankreich lebt.

Welt: Camus gilt als Heiliger der französischen Literatur. Wie kann es um seine Person Streit geben?

Ulrich Fuchs: Es gibt genügend Menschen, die an Camus Kritik geübt haben und dies immer noch tun. Da wirkt die historische Debatte zwischen Sartre und Camus über die Natur des Totalitarismus nach. Bei uns gab es eine Debatte um zwei Kuratoren dieser Ausstellung, die sozusagen konkurrierend ins Spiel gebracht worden sind, und es war ganz klar, dass dahinter eine tiefe Verletzung, also ein Streit auch zwischen den Sartre-Anhängern und den Camus-Anhängern schwelt. Für die Pieds-Noirs war Camus in seiner Haltung gegenüber der Kolonialmacht immer schon eine problematische Figur. Camus hat die französische Politik sehr kritisch beleuchtet und sowohl die Gewalt und den Terror der französischen Besatzungsarmee als auch den Gegenterror der Befreiungsfront thematisiert. Es gibt bei den heute eben sehr stark rechts stehenden und mit dem Front National sympathisierenden Pieds-Noirs eine Art Vertriebenen-Mentalität, die mich sehr stark an die Debatten erinnert, die wir in Deutschland in den Sechziger- und Siebzigerjahren hatten, wo die Vertriebenen-Verbände eben auch sehr stark revanchistische Positionen vertreten haben. Es ist in Frankreich wirklich noch ein viel heißeres und problematischeres Thema, als man denkt.

Welt: One subject strand of Marseille Provence 2013 is called "Mediterrannée" or "Le Partage du Midi", that is the common history of the Mediterranean region. What happens there exactly?

Ulrich Fuchs: The historical relation between France as the former colonial power and the north African continent is an important subject matter. It shall be present throughout all debates, exhibitions, theatrical and musical performances taking place the entire year. One emblematic figure, which stands in Southern France and in Algeria for this period of time, is Albert Camus. He has in the year 2013 his 100th birthday. The topic Camus was already during the preparations of the cultural capital a controversial one. A large exhibition, which we plan together with Cité du Livre in Aix-en-Provence, has lead to tremendous debates, with participants like Catherine Camus, who defends almost like a temple guard the works of her father and who lives after all as well here in Southern France.

Welt: Camus is considered to be a holy figure in French literature. How is it possible to have a dispute over such a person?

Ulrich Fuchs: There exist enough people who have criticized Camus and still do so today. There is the after effect of the historical debate between Sarte and Camus about the nature of totalitarianism. In our organisation there was a debate between two curators for this exhibition and which was brought into play, so to speak, at competitive level this difference and made quite clear that behind it exist deep wounds. It is also a dispute between fans of Camus and fans of Sartre. For the Pieds-Noirs, Camus is a problematic figure due to the position he took vis a vis the colonial power. Camus illuminated upon French policy in a very critical manner and made violence and terror of the French occupational army into his theme. There exists a kind of refuge mentality amongst those on the Right and the Pieds-Noirs with sympathies for the National Front. It reminds me very much of the debates we had in the sixties and seventies due to the refugee unions in Germany who assumed a very reactionary position. It is in France a much more controversial and hot topic, much more than what one thinks.

Welt: Mit den Beziehungen von Europa und dem Maghreb beschäftigt sich auch ein Highlight von Marseille 2013, das neue Museum MuCem...

Ulrich Fuchs: Ja, das Museum für europäische und mittelmeerische Kulturen. Das MuCem wird das erste große nationale Museum Frankreichs außerhalb von Paris sein – schon das ist angesichts des französischen Zentralismus eine Revolution. Das MuCem ist kein Kunstmuseum, sondern dreht sich um ethnologische Fragen, beispielsweise um das Problem der Geschlechterverhältnisse im Mittelmeerraum. Der künstlerische Leiter, Thierry Fabre, steht auch mit den Verantwortlichen des Humboldt-Forums in Berlin in Kontakt. Als ehemaliger Direktor des Institut du Monde Arabe in Paris wird er aus dem neuen Museum einen Ort der Debatte, der Auseinandersetzung machen. Explizit dafür steht auch die Architektur des Gebäudes, das direkt am Alten Hafen liegt und auf das Mittelmeer verweist.

Welt: With the relationship between Europe and Maghreb deals as well one high light of Marseilles 2013, the new museum MuCem...

Ulrich Fuchs: Yes, the museum for European and Mediterranean cultures. The MuCem will become one of the largest museums in France outside of Paris – already that is in view of French Centralization a revolution. The MuCem is not an art museum, but revolves around ethnological questions, for example the problematic relationship between genders in Mediterranean countries. The artistic director, Thierry Fabre, is in contact with the responsible persons at the Humboldt-Forum in Berlin. As former director of the Institut du Monde Arabe in Paris he will make out of the new museum a place for debate, for coming to terms. Explicit for that stands the architecture of the building which is located directly in the old harbour and points towards the Mediterranean sea.

Welt: Und die Kunst?

Ulrich Fuchs: Wir haben zwei große Ausstellungen, die gleich am Anfang des Jahres eröffnet werden. In einer ehemaligen Tabakfabrik, die quasi wie Kampnagel in Hamburg das Zentrum der kulturellen Laboratorien sein soll, wird Gegenwartskunst aus den Ländern des Mittelmeerraums zeigen. Wir präsentieren u.a. Wael Shawky, der in diesem Jahr auch auf der Documenta in Kassel zu sehen war. Ein ägyptischer Künstler, der in Kairo lebt und ein sehr interessantes Projekt für uns realisiert hat. Den ersten Teil hat er bereits in Kassel gezeigt: nämlich einen Film, der auf der Basis von Marionetten entstanden ist. Diese Handpuppen erzählen in dem Film die Geschichte der Kreuzzüge aus arabischer Perspektive.

Welt: Klingt sensationell...

Ulrich Fuchs: Ja, und es ist auch eine französisch-arabische Koproduktion, Der Künstler hat das mit den "Santonniers" zusammen gemacht, den berühmten Schnitzern von Krippenfiguren aus der Provence. In Aix-en-Provence zeigen wir, ebenfalls bereits am Eröffnungswochenende, einen "Parcours d'Art Contemporain", künstlerische Installationen im öffentlichen Raum. Insgesamt haben wir 18 verschiedene Ausstellungen vorbereitet, von Marseille über Aix-en-Provence bis nach Arles.

Welt: And the arts?

Ulrich Fuchs: We will have two big exhibitions, which shall be opened right at the start of the year. In a former tobacco factory, which will be similar to Kampnagel in Hamburg, there will be the centre for a cultural laboratory, and it will show contemporary art of Mediterranean countries. We shall present among others Wael Shawky, who could be seen this year at the Documenta in Kassel. An artist from Egypt, who lives in Cairo and who has realized for us a very interesting project. The first part he has shown already in Kassel; it is a film based on marionettes. These hand made puppets narrate in the film the history of the crusaders out of the Arabic perspective.



Welt: Sounds sensational...

Ulrich Fuchs: Yes, and it is as well a French-Arab co-production, The artist has made them together with the "Santonniers", the famous wood carvers of crib figures from the Provence. In Aix-en-Provence we shall show already during the opening week a "Parcours d'Art Contemporain": artistic installations in public spaces. Altogether we have prepared 18 different exhibitions, from Marseille via Aix-en-Provence all the way to Arles.

Welt: Es knirscht zwischen den unterschiedlichen Teilnehmerstädten von Marseille-Provence 2013...

Ulrich Fuchs: Zwischen Aix und Marseille herrschen schon lange Spannungen. Es ist in dieser Region sehr neu, dass man quasi über den eigenen Tellerrand hinausblickt und mit anderen zusammenarbeitet. "Kulturhauptstadt" gilt bei manchen als so etwas wie das Trojanische Pferd der Metropolentwicklung: die Provinzbürgermeister wollen das nicht, aber es wird zwangsläufig dazu kommen, unter anderem auch, weil die Regierung das durchsetzen wird und den Leuten sozusagen aufs Auge drückt.

Welt: It is grinding between the various participating cities of Marseille-Provence 2013...

Ulrich Fuchs: Between Aix and Marseille there prevails already for a long time such tension. That is nothing new in this region, that if one looks beyond the edge of one's own plate and cooperates with the other, that is considered by some as if the "cultural capital” is something like a Trojan Horse of Metropolitan expansion: the mayors of the provinces do not want that to happen, especially if among other reasons the government wants to push that through and subsequently steps on people's toes, so to speak.

Welt: Viele Künstler in Marseille sind unzufrieden und sogar verbittert über das Kulturhauptstadtprojekt...

Ulrich Fuchs: Widerstand und Kritik kamen am von verschiedenen kulturellen Milieus in Marseille. Das halte ich für eine Art anthropologische Grundkonstante jeder Kulturhauptstadt, weil natürlich die lokalen Künstler nie zufrieden sind mit dem Maß, in dem sie in das Projekt miteinbezogen sind. Man muss den lokalen Milieus immer in einem etwas schmerzhaften Diskussionsprozess klarmachen, dass man eben nicht Capitale Provencale de la Culture ist und auch nicht Capitale Francaise de la Culture, sondern Capitale Europeenne, oder in unserem Fall sogar Capitale Euromediterrannéenne de la Culture. Das heißt, man muss eine Balance zwischen lokalen und internationalen Künstlern finden, bei einem begrenzten Budget, das nicht alle Erwartungen, alle Ansprüche erfüllt. Das führt zu Konflikten und Auseinandersetzungen, wie sie jeder Kurator kennt.

Welt: Many artists in Marseilles are dissatisfied and even bitter about the Cultural Capital project

Ulrich Fuchs: Resistance and criticism stem from various cultural quarters of Marseilles. That I consider to be a kind of anthropological constant of every Cultural Capital, since the local artists are naturally never satisfied with the extent to which they are included in the project. One has to make clear to the local artists through often painful discussion processes, that this is not Capitale Provencale de la Culture and also not Capitale Francaise de la Culture, but Capitale Europeenne, or in our case even Capitale Euromediterrannéenne de la Culture. In other words, one has to find the balance between local and international artists, and given a limited budget, that it is impossible to fulfil all demands. That leads to conflicts and disputes, which are well known to every curator.

Welt: Worüber beklagen sich denn die Marseiller am meisten? Die Baustellen? Den fehlenden Dialog mit der Bevölkerung?

Ulrich Fuchs: Marseille ist eine Stadt, die nicht gerade überschwemmt wird von einer kritischen Öffentlichkeit. Man kann ja auch durchaus kritisch fragen: Dient so ein Kulturhauptstadtprojekt einer Gentrifizierung der Stadt, die man eigentlich nicht will, und was bedeutet Modernisierung? Eine der Stärken, die aus dieser Debatte hervorgegangen sind, ist, dass sich schon von Anfang an eine Gruppe konstituiert hat, die sich "Marseille 2013 Off" nennt. Und die behaupten, das Kulturhauptstadtprojekt habe eben klare ökonomische und touristische Zielsetzungen (was ich bestätigen kann und was ich auch richtig finde). Die organisieren nun ein Off für die, die bei dieser Programmierung eher zu kurz kommen oder nicht dabei sind. Sie verstehen sich aber nicht als ein permanenter Stachel im Fleisch des offiziellen Kulturhauptstadtprojektes, sondern sehen das als Ergänzung. Wir haben zu den Organisatoren auch – ich will nicht sagen: ein freundschaftliches – aber kollegiales Verhältnis, und ich werde zu deren Eröffnung, die einen Tag vor unserer Eröffnung stattfindet, auch hingehen.

Welt: In welcher Form präsentiert sich denn diese Off-Veranstaltung?

Ulrich Fuchs: Teilweise sehr humorvoll. Bei uns selber vermisse ich manchmal so etwas wie Humor oder Selbstironie in der Programmierung, und die Off-Leute haben durchaus mit Begriffen und Sprachspielen Klischees aufgegriffen über Marseille. Ich amüsiere mich, wenn ich auf die Website schaue, gelegentlich mehr als auf unserer eigenen Website.

Welt: What do people of Marseilles complain about the most? The construction sites? The missing dialogue with the population?

Ulrich Fuchs: Marseilles is a city which does not have exactly a huge critical public. One can indeed ask critically: if the project Cultural Capital serves gentrification, something one does not really want, and what does modernisation imply? One of the strong points which emerged out of these debates is that already from the beginning there constituted itself a group which calls itself "Marseille 2013 Off". And they ascertain that the Cultural Capital project has merely economic and tourist related goals (something I can affirm and which I find as well as being the right thing to do). They organise an Off for those, who are not considered enough by this program or else not even included. However, they do not understand themselves as a permanent spike in the meat of the official cultural capital program, but rather as a kind of complementation. We have to the organisers if not a friendly then at least a collegial relationship. And I shall go to their opening, which shall be one day prior to ours.

Welt: In what kind of form do these Off-events present themselves?

Ulrich Fuchs: Partly with a great deal of humour. In our organisation I miss at times humour or something like self irony when doing the programming, and the Off-people have taken up clichés about Marseilles by means of concepts and linguistic games. I feel entertained when I look at their websites, and I do this at times more often than at our own website.

Welt: Durch die Bauvorhaben der letzten Jahre wurde Marseille völlig umgekrempelt, der Zugang zum Mittelmeer freigelegt, die Infrastruktur verlagert... Das gab es in diesem Maße noch nie bei einer europäischen Kulturhauptstadt.

Ulrich Fuchs: Die Dimension der damit verbundenen Investition ist in der Geschichte der Kulturhauptstädte ein Superlativ. 680 Millionen Euro wurden und werden in den letzten Jahren und bis Ende 2013 in die kulturelle Infrastruktur investiert, und damit meine ich nicht die Umgestaltung des Vieux Port nach einem Projekt von Norman Foster, sondern wirklich Renovierung und Neubau von kulturellen Investitionen. Das ist eine enorme Summe, sie zeigt allerdings auch den hohen Nachholbedarf von Marseille. Zwischen 1995 und 2020 wurden und werden ganze Stadtteile umgestaltet. Das ist das größte urbane Umgestaltungsprojekt in Europa seit Jahren – fast eine Veränderung wie sie Berlin mitgemacht hat durch die Maueröffnung.

 

Welt: Because of construction Marseilles has been completely overturned during the past few years, access to the Mediterranean see has been freed, the infrastructure relocated. That scale has not been experienced so far in all previous European Capitals of Culture.

Ulrich Fuchs: The dimension of investments made in connection with that is a superlative in the history of cultural capitals. 680 Mill. Euro were and shall be invested until 2013 in cultural infrastructures, and with that I do not mean only the refurbishment of Vieux Port after a project by Norman Foster, but really restorations and new constructions due to cultural investments. That is an enormous sum of money. It indicates, however, that Marseilles had a need to catch up. Between 1995 and 2020 entire city quarters shall have been refurbished. That is one of the largest urban renewal projects in Europe as of late – almost the change which Berlin went through after the fall of the wall.

© Axel Springer AG 2013. Alle Rechte vorbehalten

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Translated by Hatto Fischer 3.2.2013

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